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Katholische SozialLehre
Catholic Social Teaching
Autor: Ernst Leuninger
1994

Thema der Seite: 65 Jahre Kriegsende

Eindrücke von Ernst vom Kriegsende 1945, am 20.Juli 1994 diktiert:

Mengerskirchen war ein später Rückzugsort für unser Gebiet. Dort kamen viele deutsche Soldaten durch. In einer Nacht wurde ich wach, als bei einer Kolonne von Elsoff herkommend ein Soldat die Meldung machte: „Ganze Kompanie angetreten, 9 Pferde, 1 Kuh“. Am letzten Tag vor dem amerikanischen Einmarsch kamen dann die Nazis mit ihren Limousinen. Sie lagen auf ihrem Gepäck. Wir hatten den Zahlmeister von einer Militärbäckerei im Haus. Er stand am Fenster und sagte zu meiner Mutter: „Wie sie sich eilen, zum großen Ball nach Berlin zu kommen“. Ich habe während des ganzen Krieges keinen einzigen deutschen Panzer gesehen. Im Minnauer-Berg lag eine Hiwi(Hilfswilligen)-Einheit, wohl Ukranier, die mit Knüppeln bewaffnet waren. Dabei waren ihre Panjewagen offensichtlich mit Benzinfässern beladen. In Mengerskirchen selbst gab es eine Unteroffiziers-Schule. Die zog mit 2 Panzerfäusten zum Buchwald, um den Ort zu verteidigen. Beim Wasserhäuschen gab es auch einige ausgegrabene Löcher zum Verteidigen der Straße.

Herbert fuhr mit dem Fahrrad durch das Dorf. Der Polizeidiener sagte ihm, dass das Fahrrad beschlagnahmt sei und beim Bürgermeisteramt abgegeben werden müsste. Wir haben es aber dann in der Scheune unter dem Heu versteckt.

Als wir mit einigen Freunden auf der Landstraße nach Elsoff waren, kam es zu einem Flieger-Angriff. Ich meinte, es sei ein Doppelrumpf-Flugzeug gewesen. Herbert erinnerte sich an einen Jagdbomber (Jabo). Auf jeden Fall sahen wir den Piloten bzw. den Bediener des Maschinengewehres in seiner Kanzel. Ich habe zum Gebet aufgerufen ("Reu und Leid erwecken"). Wir haben uns hinter Bäumen versteckt.

In unserem Hof war eine Feldbäckerei. Wir sind mit den Soldaten Tannenreißig holen gegangen. Die Mutter hatte Sorgen um ihre Hühner, weil der Hof zugestellt war. Daraufhin sagte ein Feldwebel zu ihr: „Sie brauchen keine Sorge zu haben, es gibt genug Brotkrumen für die Hühner“. Die Bäckerei hat jedoch nie gebacken und wurde eiligst weitertransportiert. Als dann die Unteroffiziers-Schule abzog, musste ein Zug abgeordnet werden, der den Proviantwagen zog. Pferde gab es keine mehr. Viele Fahrzeuge blieben ohne Benzin auf der Straße liegen. In einer Scheune wurde ein kettengängiges beladenes Fahrzeug abgestellt. Wir entdeckten später Säckchen mit Schwarzpulver. Das haben wir angezündet.

In der Karwoche kamen dann die Amerikaner von Elsoff. Sie schossen vom Waldrand aus über das Dorf hinweg in Richtung kleiner Weiher. Dort befand sich eine versprengte Truppe deutscher Soldaten auf dem Rückzug. Als erstes amerikanisches Fahrzeug sahen wir ein Sanitätsauto. Als dieses mit einem Verwundeten zurückkam, forderte der Sanitäter „water“ für den Verletzten.

Die Nacht zuvor war eine höchst spannende Nacht gewesen. Wir waren bei Verwandten, weil dort ein ausgebauter Keller war. Unterhalb des Schlosses fühlten wir uns sicherer als in unserem Haus in der Nähe mehrerer brandgefährdeter Scheunen. Wir hatten selbst keinen sicheren Keller. Unser Großvater ging aber nicht mit uns und verblieb im Haus. Es war dann die Nacht des Plünderns. Es wurden von der Bevölkerung diverse Militärlager im Ort ausgeräumt. Ich kam zu spät und fand nur noch einen Eimer mit Sauerkraut. Es wurde viel gehortet, vor allem waren es Lebensmittel. Auf dem Damm, wo wir uns in der Nacht aufhielten, trafen die älteren Onkel Theodor und Wilhelm ein, die sich vom sogenannten Volkssturm in Weilburg abgesetzt hatten. Sie hatten sich durch die Wälder nachhause durchgeschlagen. Morgens gingen wir zu unserem Haus zurück. Wir bekamen von der Mutter ein weißes Tuch. Damit haben wir den ankommenden Amerikanern gewunken. Wir haben sie als Befreier erlebt. Ein Panzer nach dem anderen rollte auf der schmalen Straße heran, um an der Kreuzzung nach Norden abzubiegen kam. Die ersten waren verschlossen, spätere öffneten sich. Panzergrenadiere saßen auf den Panzern. So ging es pausenlos, Tag und Nacht. Die Panzerketten wühlten an der Wegkreuzung die Straße auf. Pioniere brachen den Gartenzaun unserer Nachbarn ab und warfen ihn in die Straßenlöcher. Ich habe am nächsten Morgen in der Kapelle des Schwesternhauses einem amerikanischen Feldgeistlichen bei der Messe gedient und dafür einige Wurstscheiben bekommen. Kaugummi oder Schokolade wären mir damals lieber gewesen.

Ein Militärpolizist schob Wache an der Kreuzung. Er fragte immer wieder nach Herbert zum Übersetzen. Es kam ein Trupp von deutschen Gefangenen, die eine zeitlang im kleinen Garten des Nachbargeschäftes eingesperrt wurden. Herbert musste übersetzen. Er fuhr auch mit den Jeep durch das Dorf, auch als der Bürgermeister Schneider von vor 1933 gesucht und wieder eingesetzt wurde. Der Soldat schlief auf einer Unterlage vor dem Nachbarhaus. Kaffee getrunken hat er bei uns. Jedoch wurde zuvor alles genau und gründlich getestet. Es war die Angst vor Gift. Im Hof standen später Kanonen. Die Munition lag daneben in Kisten mit Zeltplanen abgedeckt. Auf einer Kanone vor unserer Haustür war ein Pin-up-Girl. Als der Großvater die Krankenkommunion bekam, warf meine Mutter ihre blaue Schürze darüber, was den amerikanischen Offizier amüsierte. Danach war eine Küche ehemaliger russischer Gefangener im hinteren Gebäude des Hofes untergebracht. Von da an wurde der Hof eigens bewacht. Wir hatten zu den ehemaligen russischen Soldaten ein gutes Verhältnis. Sie kamen zu uns, um sich mit uns zu unterhalten. Sie hatten große Sorge. Wenn sie nicht an ihre Familien denken würden, wollten sie am liebsten nach Amerika auswandern. Sie hatten als Ukrainer Angst, sie würden als "Überläufer" hingerichtet. Oder es würden ihnen andere schlimme Dinge drohen. Ich erinnere mich noch, daß einer, der selbst Ziegenbauer war, unseren Ziegen die Klauen beschnitten hat. Die ehemaligen Gefangenen waren zu uns Kindern sehr freundlich. Es gab oft bei ihnen Kartoffeln mit Sauerkraut Sie gaben auch uns davon.

Der Rückzug der Deutschen erfolgte über den kleinen Nachbarort Arborn. Das war auch der Weg, den die Amerikaner nahmen. Unter den deutschen Gefangenen, die durch das Dorf transportiert wurden, war auch Bauers Franz. Er kam in französische Gefangenschaft nach Frankreich. Wir mussten unseren Fotoapparat abliefern. Auf Kameras hatten es die amerikanischen Soldaten abgesehen. In jedem Haus fanden Hausdurchsuchungen statt, nur in unserem Haus nicht. Unser alter Großvater saß gern vor dem Haus. Vor ihm hatten sie Respekt. Außerdem wirkte unser Haus zu bescheiden, als dass es sich lohnen würde, es zu durchsuchen.

Geändert: 9.5.2010 Dr. Ernst Leuninger